Otmar Sprothen - Rheinische Post - 25.08.2007

Auffallend viele junge Zuhörer verfolgten am Donnerstagabend den Vortrag des Bielefelder Nationalismusforschers Prof. Dr. Hans-Ulrich Wehler beim 47. Moltke-Forum zum Thema "Nationalismus und Nationalstaat".

"Wenn alle Menschen vor Gott gleich sind, warum sind sie es dann nicht auf Erden?", fragte der Referent. Dieser Urgedanke der Demokratie habe die Calvinisten nach Amerika auswandern lassen, das für sie zum biblischen Garten Eden wurde. Ihre durchsetzungsfähige Glaubensüberzeugung sah sie in einem auserwählten Lande. Wehler: "Die missionarische Selbstsicht beim Einsatz in den beiden Weltkriegen bis in die Reden des heutigen amerikanischen Präsidenten spiegelt das arrogante Überlegenheitsgefühl der Amerikaner gegenüber anderen Staaten wider." So verkörpere sich in den Gegnern der Amerikaner immer das niederzuringende Böse.

Dieser Nationalismus, gepaart mit einem unreflektierten Sendungsbewusstsein, sei von den europäischen Staaten übernommen worden: "Man konnte mit seiner Hilfe die Kräfte bündeln für den mörderischen Konkurrenzkampf untereinander, der ganze Staaten verschluckte", sagte Wehler.

Nach der Niederlage des Ersten Weltkriegs und einer Massenarbeitslosigkeit ohne Beispiel brauchte das deutsche Nationalgefühl etwas, was es wieder aufrichtete, Schuldige ausmachte und in die Zukunft wies. Diese Sehnsüchte bediente Hitler besser als die Weimarer Republik. Die Niederlage Hitlerdeutschlands war total. Die deutsche politische Kultur erweise sich bis heute als nicht empfänglich für nationalistische Parolen, eher gehe man eine politische Kosten-Nutzen-Rechnung durch. "Diejenigen, die noch immer nationalistische Interessen verfolgen, sollten wissen, dass die Rechnung des Nationalismus noch in keinem Staat aufgegangen ist. Misst man das Programm des Nationalsozialismus an seinen Ansprüchen, dann ist er restlos gescheitert"