Herr Prof. Paul stellte eine Umfrage an den Anfang seines Vortrages, die im Jahr der Wende (1989) in Leipzig durchgeführt wurde. Erfragt wurde die Beliebtheit von 20 Nationalitäten und Volksgruppen. Die befragten Leipziger setzten die Türken an die vorletzte Stelle der Beliebtheitsskala, gerade vor den Sinti und Roma. Dieses Ergebnis, so Prof. Paul, sei um so erstaunlicher gewesen, als in der ganzen damaligen DDR nur etwa 80 türkische Staatsbürger gemeldet waren - fast alle im diplomatischen Dienst.

Woher, so fragte er, rührt diese Ablehnung? In seinem Vortrag holte Prof. Paul weit in der Geschichte aus. Er wies auf die vorchristliche Zeit hin, in der die Römer die griechischen Nachbarn erst dann als europäische Mitbewohner anerkannten, nachdem das byzantinische Reich expandierte. Vor dieser Zeit hätten die Römer den Griechen einen Status des Fremden und Orientalischen zugeordnet, der dem Bild der heutigen Türken entspricht. Diese wechselnden Empfindungen und Einschätzungen hätten in den folgenden Jahrhunderten zu immer neuen Wertungen geführt. Im Mittelalter seien die Türken als Kinder mordende Muselmanen dargestellt und verfolgt worden. Nach der entscheidenden Niederlage der Türken vor Wien (1699) habe dann das Abendland zunächst mit verhöhnenden Darstellungen des besiegten Gegners reagiert und kurze Zeit später die Kultur des Osmanischen Reiches für sich entdeckt: von Kaffee bis zur Ottomane von edlen Stoffen bis zu Geschichten und Märchen ("Entführung aus dem Serail") - es war schick, sich mit den Attributen des ehemaligen Feindes zu schmücken. Diese Mode änderte sich mit den Feldzügen Napoleons, der als Feind der Mohammedaner die Stimmung gegen die nun neu entdeckten Kriegsgegner für seine Feldzüge nutzte.

In der Wechsellage der subjektiven Einschätzung seien die heute lebenden Türken dem Bild der Osmanen aus den verschiedenen Epochen unterworfen. Dies sei aus zwei Gründen unrichtig. Einerseits ist die Festlegung der Begriffe ‚Europa' und ‚Asien' willkürlich durch Geographen geschehen, nicht von Politikern oder Historikern. Zum anderen geht die ‚europäische Grenze' mitten durch die heutige Türkei, was eine Zuordnung nur noch erschwert. In der sich anschließenden langen Diskussion äußerte sich Herr Prof. Paul auch zu Fragen der Aufnahme in die EU. Er wies auf verschiedenen Ebenen der Problematik. Zu dieser gehöre auch der Umgang der politischen Kräfte mit der Einführung demokratischer Normen. Diese seinen in Spanien nach dem Franco-Regime eingehalten worden, gleiches sei auch von der Türkei zu erwarten, auch wenn er dies in einem längeren Zeitraum sieht.