Wer hat die Szene aus dem Weltmeisterschaftsendspiel 2006 `Italien : Frankreich` nicht noch vor Augen, als der französische Mittelfeldstar Zinédine Zidane seinen italienischen Gegenspieler Marco Materazzi per Kopfstoß niederstreckte? Dieser hatte ihn zuvor auf das Übelste beleidigt. Beide aber erhielten von der UEFA die gleich hohe Geldstrafe aufgebrummt. Sei, so fragte die Referentin des 59. MOLTKE-FORUMS, die Äquivalenz der Geldstrafe für eine körperliche Gewalttat und eine verbale wirklich zu rechtfertigen?

Dieses zum sportlichen Allgemeingut gehörende Ereignis war für sie der Aufhänger ihres Vortrags, in dem sie vor allem aufzeigen wollte, dass Sprache „Bindung schaffen“ könne und den „Raum von Vernunft und Gewalt“ teile. Insofern müsse überlegt werden, ob unser Vorverständnis, dass die verletzende Sprache auf den Index zu setzen sei, nicht quasi heuchlerisch sei, denn sie sei nichts anderes als ein „Kulturgut“.

Anhand der gängigen Beleidigung erläuterte die Sozialphilosophin den interaktiven Bezug von auch beleidigender Sprache, da immer auch der Beleidigte „den Sinn ausmacht“.

Die anschließende Diskussion offenbarte den Gegensatz von Theorie und Praxis. Während die Philosophin auf das dialektisch vermittelte Konstrukt von Beleidigung und Beleidigtsein verwies, versuchten die durch den Vortrag sichtlich inspirierten 100 Anwesenden mehrheitlich die Theorie durch die Praxis der alltäglichen, einseitigen (?) Beleidigung und ihrer Folgen zu “erden“.

Es konnte aber Frau Krämer nicht um die sozialtherapeutische Begleitung der Beleidigung gehen, sondern sie hatte den auch von ihr als diskutabel und strittig herausgestellten Versuch unternommen, die Gewalt des Wortes als ein Implement der abendländischen Kultur aufzuzeigen.

Wieder einmal bewiesen nicht zuletzt das Engagement und die Sachlichkeit der Diskussion den mehr als erfreulichen Diskurs-Raum, den das MOLTKE-FORUM als integraler Bestandteil des kulturellen Angebots unserer Schule mittlerweile geschaffen hat.

Wolfgang van Randenborgh