Was können wir von Menschen aus vergangenen Zeiten noch lernen? Diese Frage stand anlässlich des 100. Geburtstages des Schriftstellers und ehemaligen Moltkeschülers Heinar Kipphardt im Vordergrund. Im Zuge des Projekttages am 22.01.2022 hatte sich die EF des Gymnasiums am Moltkeplatz mit dem Leben und den Werken Heinar Kipphardts beschäftigt. Am 11. März 2022 fanden dazu in der Aula zwei Veranstaltungen statt. Das Publikum war überrascht, welche Aktualität in Kipphardts Texten steckt.
Heinar Kipphardt wurde am 8. März 1922 geboren und starb am 18. November 1982. Kipphardts Vater geriet zweimal in KZ-Haft; als Kipphardt seinen Vater im KZ sah, war dies für ihn ein traumatisches Erlebnis. Schon mit 16 Jahren lehnte er die NS-Ideologie in der Schule ab und wollte daher nicht während der NS-Zeit als Schriftsteller debütieren. 1940 absolvierte er am Gymnasium am Moltkeplatz das Abitur. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er an der Ostfront und desertierte später.
Sein Gedenktag am 11. März 2022 wurde mit Schülerinnen und Schüler der EF vorbereitet. Anlässlich des 100. Geburtstages waren drei Mitglieder der Internationalen-Heinar-Kipphardt-Gesellschaft am Moltke zu Gast: Prof. Dr. Sven Hanuschek sowie Mechthild Schaeper und Andreas Weinhold.
Andreas Weinhold stellte heraus, dass Kipphardt heute ein wenig bekannter, aber keineswegs ein unbedeutender Schriftsteller gewesen sei. Er habe zu seiner Zeit große Bekanntheit in Deutschland und darüber hinaus gehabt, so sei in Asien eines seiner Theaterstücke aufgeführt worden. In diesem Jahr werden einige Stücke auch in Deutschland wieder aufgeführt. Zu Ehren Heinar Kipphardts wurden einige Texte von ihm vorgetragen, so zum Beispiel „Überwindung des Soldatischen“ aus seinem Stück „Bruder Eichmann“.
In dem Gedicht „Neuerdings wieder“, das 1976 entstanden ist, wird beschrieben, wie ein deutscher Soldat, verfolgt von einem sowjetischen Kriegsflugzeug, in seiner Todesangst sich einen friedlichen Tod in einem „Maiblumenfeld“ wünscht.
Aus dem Jahr 1946 stammen Kipphardts Verse „Verbraucht sind alle Todeskulte/ verbraucht sind die Helden jedweder Art“, benötigt würden „keine Fahnen“ nur „Essen und Zärtlichkeit“.
Diese Texte sind laut den Mitgliedern der Heinar-Kipphardt-Gesellschaft sehr aktuell in Bezug auf den Krieg in der Ukraine. Sie seien geeignet, darüber nachzudenken, ob von Helden zu sprechen veraltet sei oder ob man zum Beispiel Herrn Selenskyj als Helden bezeichnen dürfe. Hierzu gab es eine kurze Diskussion, die die Schülerinnen und Schüler miteinbezog.
Während der Veranstaltung präsentierte die EF außerdem, womit sie sich am Projekttag beschäftigt hatte. So wurde zum Beispiel ein Podcast abgespielt, der sich vor allem auf Kipphardts Kindheit konzentrierte. Auch wurden zwei Märzgedichte Kipphardts vorgelesen sowie der Text „Sonntagsspaziergänger“ und „Mein Lieblingsplatz“. Zu dem letzten Gedicht trug der Schüler Valantis Palaskas seine eigene Version über seinen Lieblingsplatz vor. „Der Lieblingsplatz ist bei jedem anders. Da wollte ich meine eigene Kreation schaffen“, sagte er über seinen Text. Im Foyer wurden auch weitere Nachdichtungen der EF ausgestellt. Frau Schaeper zeigte sich besonders beeindruckt von den vorgestellten Kreationen der Schülerinnen und Schüler.
Am Abend um 18 Uhr fand in der Aula eine zweite Veranstaltung statt, zu der jeder eingeladen war. Neben Prof. Dr. Hanuschek, Frau Schaeper und Herrn Weinhold war auch Dr. Joachim Schröder, Leiter des Erinnerungsortes Alter Schlachthof (Düsseldorf), zu Gast. Herr Dr. Schröder beschäftigt sich in seiner Forschung vor allem mit Heinrich Kipphardt, Heinar Kipphardts Vater, und ist dadurch später auf dessen Sohn Heinar Kipphardt gestoßen. Über Heinrich Kipphardt sagte er, dass dieser Juden auf der Flucht unterstützt habe. So habe er der Jüdin Elisabeth Frank geholfen, indem er ihren Grenzübertritt organisiert habe. Vor der Gestapo habe er aber behauptet, Mitglied im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund und in der NSDAP gewesen zu sein. Laut Herrn Dr. Schröder war dies womöglich eine Notlüge, nach anderen Quellen war Heinrich Kipphardt ein überzeugter Marxist.
Später erzählte Prof. Dr. Hanuschek, wie er Kipphardts Werke kennengelernt hatte. So habe er bei einem Schulausflug ins Theater 1981 Kipphardts Stück „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ gesehen und sei fortan begeistert von ihm gewesen. In dem Schauspiel wird die Verantwortung des Wissenschaftlers Oppenheimer, der als „Vater der Atombombe“ gilt, thematisiert. Laut Prof. Dr. Hanuschek ist das Stück „spannend wie ein Krimi“ und anders als das herkömmliche Theater. In seinem anderen Schauspiel „Bruder Eichmann“ geht es um den Prozess gegen Adolf Eichmann, dem Organisator des Massenmords am europäischen Judentum. „Das sind große Themen, die das ganze Jahrhundert betreffen“, so Hanuschek. Später habe Prof. Dr. Hanuschek seine Magisterarbeit und seine Dissertation über Kipphardt geschrieben und sei seit der Gründung der Internationalen-Heinar-Kipphardt-Gesellschaft ein zentraler Bestandteil und der Erste Vorsitzende dieser Gesellschaft.
Heinar Kipphardt wäre am 8. März dieses Jahres 100 geworden. Doch welche Rolle spielen seine Texte in der heutigen Zeit? Kipphardts Leben enthält viele Gewalterfahrungen und auch die Grausamkeit des Krieges prägte Kipphardts Haltungen und Texte. In den literarischen Werken Kipphardts steckt auch ein Teil seiner Erlebnisse und Erinnerungen. Kipphardt wollte sich nie mit den damaligen Verhältnissen abfinden und seine Form des Widerstands kann uns heute auch ein Vorbild sein. In einem Text werden Helden beschrieben, in einem anderen die Furcht der Machthaber vor dem unabhängigen Geist der Menschen. Es gibt viele Parallelen zu heute, wenn man sieht, welches Grauen sich in der Ukraine und an anderen Orten der Welt abspielt.
„Es ist ein spezieller Umgang mit Sprache, den Kipphardt hat“, so Prof. Dr. Hanuschek. Heinar Kipphardt kann gewiss nicht jeden für seine Texte begeistern. Auch viele der EF interessierten sich eigentlich nicht für das Thema und doch sieht man an einigen Nachdichtungen und anderen Ergebnissen der EF vom Projekttag, dass eine gewisse Freude bei manchen Schülerinnen und Schülern vorhanden ist. Kipphardt begeistert nicht unbedingt die Massen und vielleicht ist es auch das Unkonventionelle, das ihn ausmacht, aber Menschen wie Prof. Dr. Hanuschek, der einen Großteil seines Lebens dem Schriftsteller gewidmet hat, fasziniert und inspiriert er für ein Leben lang.
Matthias Trinh (9a)