15 000 Bände finden sich in der Bibliothek des Gymnasiums am Moltkeplatz, darunter viele Schätze.
Dirk Senger - Westdeutsche Zeitung - 28.05.2003

Es ist kein Schloss, obwohl es die Ausmaße eines solchen besitzt. Das Gymnasium am Moltkeplatz wurde 1915 nach den Plänen des Architekten August Biebricher fertiggestellt, das Gebäude galt lange Zeit als die schönste Schule in ganz Preußen. Doch von der einstigen Pracht ist wenig erhalten. Ein Schatz aus den Tagen der Schulgründung im Jahre 1819 hat die Zeiten jedoch überdauert: die Bibliothek. Für die Reihe "Krefelder Zimmer" schmökerte die WZ gemeinsam mit Rolf Neumann, stellvertretender Schulleiter, und Hans-Wolfgang Stockhausen, Vorsitzender des Fördervereins der Schule, in alten Büchern.

Die Räume im "Turm" des Gymnasiums dienten schon unterschiedlichen Zwecken. Im obersten Raum war vor dem Zweiten Weltkrieg ein Observatorium untergebracht. Nach dem Krieg funktionierte man den darunter liegenden Raum zum Musikzimmer der Schule um. In diesem stand auch ein Konzertflügel, an dem schon Clara Schumann und Johannes Brahms bei Konzerten in Krefeld gespielt haben. "Die Japaner waren verrückt nach dem Flügel", bedauert Stockhausen dessen "Entschwinden" Anfang der 80er Jahre aus der Seidenstadt.

Fernab vom täglichen Schulbetrieb befindet sich heute im "Turm" die Lehrerbibliothek. Eine Bezeichnung, die der in dieser Art und diesem Umfang einzigartigen Schulbibliothek in Krefeld wohl kaum gerecht wird. Fünf Regalreihen, die in Fachbereiche wie Geschichte, Philosophie oder Jura unterteilt sind, stehen im Raum, und nur mittels einer Leiter gelangt man an die obersten Bücher in den Wandregalen. Der Grundstock der Sammlung basiert auf Schenkungen und Nachlässen aus dem 19. Jahrhundert, allen voran die des Schulstifters Adam Wilhelm Scheuten (ca. 300 Bände), die Kopstadtsche Stiftung (655 Bände) und die Bibliothek des "Historischen Lesevereins". Eine Tradition, die keinesfalls antiquiert ist.

Vor der Bibliothek stapeln sich bereits wieder Bücherkartons aus einem Nachlass, der erst im Februar an die Schule ging. Immer wieder wurde die Sammlung derart ergänzt, so dass Atlanten, Erstausgaben und Zeitschriften aus den letzten 400 Jahren einen derzeitigen Bestand von rund 15 000 Bänden bilden. Einige Einzelexemplare der Bibliothek sind sogar noch älter, bedürfen aber dringend der Restaurierung. Neben- und übereinander reihen sich die Originalausgaben von Voltaire, Rousseau und Kant aus dem 18. Jahrhundert. Auch Schriften Casanovas aus dem Jahr 1787 finden sich dazwischen, ebenso wie die Reden vor der französischen Nationalversammlung von 1790.

Nicht nur Schüler und Lehrer des "Moltke" nutzen die Bibliothek, auch Studenten und Wissenschaftler greifen gerne auf die alten Bücher und Quellen zurück. "Zuletzt waren Leute von der Universität Köln hier", berichtet Neumann. Um den Überblick zu behalten, bedarf es natürlich einer immer aktuellen Systematik. "Es ist eine elend lange Arbeit, den Bestand aufzunehmen", schilderte Neumann diesen aufwändigen Prozess. Auf einem alten Eichenholzschreibtisch steht noch die Adler-Schreibmaschine, mit der "Turmherr" Günter Pielhauer die ersten Karteikarten beschriftet hat.

Die Pflege und Ordnung der Bücher lag bis zu seinem unerwarteten Tod allein in der Hand des Geschichtslehrers. Seine Nachfolgerin, Ute Monjaras, erkrankte im Sommer 2002 so schwer, dass sie diese Arbeit nicht weiterführen konnte. Heute kümmern sich zwei Lehrer der Schule um die Erfassung. Peinlich genau achtet der Hausmeister darauf, dass keine Feuchtigkeit in den Raum eindringt. Denn Wasser ist ein zerstörerisches Element, besonders für die alten Werke. Diese bestehen aus schwefelhaltigem Papier, das sich, wenn es Wasser zieht, schwarz färbt und schließlich zerbricht. Da die Restaurierung der Bücher mit hohen Kosten verbunden ist, die von der Schule getragen werden müssen, ist der Förderverein eine wesentliche Stütze beim langfristigen Erhalt der Bibliothek.

"Wir haben immer einen festen Etat von 500 Euro für die Bibliothek vorgesehen", sagt Stockhausen. "Ohne das geht es nicht", schloss sich Neumann an, da man von der Stadt zurzeit dafür keine Mittel erwarten kann. Eine offene Wunde klafft jedoch in der Bibliothek, die man nicht mit Geld schließen kann. 1933 raubte man auf nationalsozialistischen Befehl wertvolle Bestände aus der Schule und schlug sie der Stadtbücherei zu, wo sie jahrelang verstaubten. Und 1937 "verlagerte" der Lehrer und Heimathistoriker Rembert weitere Teile der Bibliothek nach Linn.

Für Aufsehen sorgten zwei Fälle, die den Missstand der "Auslagerung" wieder ins Gedächtnis riefen: In den 70er Jahren flog ein städtischer Elektriker auf, der Stiche aus den Büchern, die im Keller der Stadtbücherei lagerten, entfernte und bundesweit verkaufte. Im Jahre 1987 geriet die Stadt Krefeld selbst in Verdacht, zur finanziellen Aufbesserung des Haushalts wertvolle Exemplare zu veräußern.

Obwohl einige Bücher und Atlanten in der Zwischenzeit ihren Weg zurückgefunden haben, stehen bei weitem nicht alle mit dem Schulstempel versehenen Bücher an ihrem angestammten Platz. Und mit einer ständigen Rückkehr ist wohl kaum noch zu rechnen. Ein Wunsch von Neumann und Stockhausen ist es deshalb, dass die in der Stadt verstreuten Bücher wenigstens noch einmal in einer Ausstellung zusammengefasst werden auch um zu sehen, was überhaupt noch vorhanden ist.

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