Manfred Wüst sucht, sortiert und katalogisiert seit Monaten tausende von historischen Büchern. Viele sind in miserablem Zustand, denn viele Jahre war die so genannte Scheuten'sche Bibliothek in Vergessenhet geraten.
Es bedarf schon einiger Kondition, um an den Arbeitsplatz von Manfred Wüst zu gelangen. Unzählige Stufen muss man steigen. Hoch oben im Turm des Gymnasiums am Moltkeplatz verbringt er Woche für Woche rund 20 Stunden, umgeben von Büchern, Büchern und Büchern. Die haben es allerdings in sich. Dort lagert die Erstausgabe von Keulens Seeatlas, historische Exemplare von Kants Jahrbüchern oder hebräische Nachschlagewerke aus dem 15. Jahrhundert - Wüst ist immer wieder überrascht, welche unglaublichen Schätze in den verstaubten Regalen direkt unter dem Schuldach lagern.
"Ein Drittel des Bestandes bedarf eigentlich einer Restauration"
Der Hobbyhistoriker aus Verberg beschäftigt sich bereits seit dem Sommer 2006 mit der so genannten, Scheuten'schen Bibliothek. "Die Arbeit ist kompliziert und zeitaufwändig, denn leider wurde die Sammlung während der beiden Weltkriege nicht nur auseinander gerissen, sondern auch mit neueren Werken vermischt." Daher muss Wüst nun anhand eines historischen Findbuchs aus dem Jahre 1900 jedes Exemplar auf seine Zugehörigkeit zur 6004 Titel umfassenden Bibliothek überprüfen, elektronisch erfassen und neu katalogisieren. Ein immenser Aufwand. Problematisch ist außerdem die Verteilung der Bücher. Neben dem Hauptbestand im Gymnasium am Moltkeplatz befinden sich 380 weitere Werke auf der Burg Linn, sowie weitere 110 im Kaiser-Wilhelm-Museum. Sie sind nach dem Krieg in Vergessenheit geraten und lagern seitdem an den unterschiedlichen Orten. Trotzdem unterscheidet sich hr Zustand kaum - der Zahn hat an ihnen genagt.
Durch jahrelange UV-Einstrahlung, Temperaturschwankungen, falsche Lagerung in Kellerräumen und ungeeigneten Bücherregalen, provisorische Reparaturversuche oder schlichtweg fehlende Bewegung sind viele Titel heute in miserablem Zustand. "Rund ein Drittel des Bestandes bedarf eigentlich einer Restauration", sagt Manfred Wüst. "Wenn ich manche Bücher aus den Regalen ziehe, fallen sie praktisch auf der Stelle auseinander. Das ist wirklich tragisch." Doch für Reparaturen fehlt, wie so oft, das Geld.
Dass sich Wüst überhaupt mit dem Projekt beschäftigen kann, ist in erster Linie dem Förderverein der Schule und dem Land zu verdanken. Gemeinsam kommen sie für seine Bezahlung auf.
"Natürlich arbeite ich hier eher idealistisch, aus purem Interesse. Reich werde ich durch die Arbeit sicher nicht. Aber ich habe ein Ziel, ich möchte, dass die Bibliothek den Schülern wieder zugänglich gemacht wird und mit ihr gearbeitet werden kann. Bücher sind schließlich zum Lesen da", sagt Wüst. Dafür wird er jedoch noch einige Stunden zwischen den Regalen verbringen müssen. Hauptsächlich allein, denn bisher haben sich nicht mal Geschichtslehrer mit ihrem Schülern zu ihm unters Dach verirrt.
Das ist die alte Scheuten'sche Bibliothek
Zur Scheuten'schen Bibliothek zählt das Gymnasium am Moltkeplatz alle 6004 Titel, die im historischen Findbuch aus dem Jahre 1900 verzeichnet sind. Thematisch festgelegt ist die Sammlung nicht. Sie enthält Werke aus verschiedensten Wissensbereichen. Schwerpunkte sind Geschichte, theologie, klassische und französische Literatur, aber auch Biologie oder Mathematik.
Grundstock der noch bis in die 60er Jahre von Lehrern der Schule verwendeten Zusammenstellung ist die Schenkung Adam Wilhelm Scheutens. Der stiftete 1819 nicht nur die "höhere Stadt-Schule zu Crefeld", das heutige Gymnasium am Moltkeplatz, sondern auch eine nicht genau bestimmte Anzahl von Werken aus seiner Privatbibliothek. Im Laufe der Jahre entwickelte sich hieraus der "Historische Leseverein", welcher weitere Titel anschaffte und in die Sammlung integrierte. Hinzu kamen Schenkungen von Privatleuten sowie unzählige Vererbungen an die "Krefelder Lateinschule". Das älteste, bisher gefundene Werk stammt aus dem Jahre 1536 und beschäftigt sich mit dem Kölner Dom. Gehört ein Exemplar zum Bestand der Sammlung, ist es im optimalen Falle durch Signaturen gekennzeichnet und trägt Stempel des preußischen Reichsadlers sowie des Schulsiegels.
Während der beiden Weltkriege wurden die Werke aus dem Turm des Gymnasiums in den Keller der Schule sowie in die Stadtbücherei gebracht. Letztere gab sie an das Kaiser-Wilhelm-Museum und Burg Linn weiter. Später geriet die Bibliothek in Vergessenheit, wurde der Witterung überlassen.
Seit Mitte 2006 ist man nun bereits damit beschäftigt, die Sammlung wieder im Ursprungsumfang zusammen zu stellen und digital zu katalogisieren. Dafür wurden neue, Bücher schonende Schränke angeschafft, in die nahezu 2000 Werke schon einsortiert sind. Zur optimalen Aufbewahrung fehlt es jedoch noch an klimatisierten Räumlichkeiten. Historische Bücher benötigen eine konstante Temperatur von 18 Grad und maximal 55 Prozent Luftfeuchtigkeit, um gut erhalten zu bleiben.
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