„Schul-“übergreifendes Lernen - Jean Piagets Theorie der kognitiven Denkentwicklung in der Praxis

Unser Pädagogik Leistungskurs beschäftigte sich im ersten Quartal der Q1 mit Jean Piagets Stufenlehre der kognitiven Denkentwicklung. Jean Piaget (1896-1980) interessierte sich für kognitive Verständnisprozesse bei Kindern. Er führte mehrere Testreihen an Kindern durch, indem er sie beobachtete, befragte und Versuche mit ihnen durchführte. Dadurch kam er zu der Erkenntnis, dass sich die geistige Entwicklung in vier Stufen unterteilen lässt, womit er bedeutende Grundsteine zur geistigen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen legte.

Bis jetzt hatten wir uns mit diesen vier Stufen in der Theorie befasst; wir lasen Sachtexte sowie Fallbeispiele und beschäftigten uns intensiv mit Jean Piagets Stufenmodell. Wir lernten, Kindern und Jugendlichen, je nach ihrem Verhalten oder ihren Reaktionen, eine bestimmte Stufe zuzuordnen. Beispielsweise dominieren Sinne und Sinneserfahrungen das Denken von Babys. Kinder im Alter von 2-7 Jahren fokussieren sich mehr auf ihre Wahrnehmung als auf Logik. Danach werden die Gedankenprozesse immer logischer, bis man später anfängt, über sein eigenes Denken nachzudenken und abstrakt zu handeln. Piaget benannte diese vier Stufen folgendermaßen: die sensomotorische Stufe (0-2 Jahre), die präoperationale Stufe (2.-7. Jahr), die konkret-operationale Stufe (7.-12. Jahr) und zuletzt die formal-operationale Stufe (11.-13. Jahr), welche eigentlich niemals endet.

Soweit, so gut! Frau Yazgan, unsere Lehrerin, hatte nun die Idee, unsere Kenntnisse einmal in der Praxis anzuwenden. Wir fanden es schließlich äußerst interessant, herauszufinden, ob sich Kinder wirklich genauso verhalten würden, wie Piaget es voraussagt. Aus diesem Grund setzten wir uns in Kontakt mit der Schönwasserschule in Krefeld und vereinbarten einen Tag, an dem unser Pädagogikkurs vorbeikommen konnte. Wir wollten spielerische Versuche und Experimente durchführen, mit dessen Ergebnissen man auf eine Stufe der kognitiven Denkentwicklung nach Piaget schließen kann. Wir entschieden uns dafür, dies sowohl mit Erst- als auch mit Drittklässlern durchzuführen, um mögliche Unterschiede festzustellen. Erstklässler sind meistens 5-7 Jahre, Drittklässler 8-9 Jahre alt. Gemäß Piaget müssten sich diese somit in zwei unterschiedlichen Stufen befinden.

Nachdem eine feste Zusage der Grundschule vorlag, fingen bei uns die Planungen an. Unser Kurs ist recht groß, sodass wir sechs Gruppen bilden konnten. Jede Gruppe überlegte sich jeweils 2-3 unterschiedliche Versuche, anhand derer die kognitive Denkentwicklung überprüft werden konnte. Wichtig war uns, dass die Kinder den theoretischen Rahmen nicht spüren, sodass die „Spiele“ kindgerecht, bunt und einfallsreich gestaltet werden. Statt Plättchen nahmen wir Gummibärchen, Wasser wurde eingefärbt und viele bunte Bilder vorgelegt. Ein Versuch beispielsweise überprüfte, ob die Kinder bereits das Prinzip der Mengeninvarianz verstanden. Dazu nutzten wir den berühmten „Umschüttversuch“: Vor den Kindern stehen drei Gefäße, und zwar Gefäße A, B und C. Gefäße A und B sind genau gleich groß und in ihnen befindet sich die genau gleiche Menge an Wasser. Das Wasser aus einem dieser zwei Gefäße wird nun in das dritte Gefäß C geschüttet, welches allerdings schmaler und höher ist. Dies alles geschieht vor den Augen der Kinder. Diese wurden im Anschluss gefragt, in welchem Gefäß sich am meisten Wasser befindet. Obwohl die Menge des Wassers sich nicht veränderte, fällt Kindern die richtige Antwort in den ersten beiden Stufen Piagets sehr schwer. Sie fokussieren sich nicht auf die Tatsache, dass das Wasser nur umgeschüttet wurde, sondern zentrieren sich nur auf den neuen und unterschiedlich hohen Wasserstand. Mit weiteren Spielen konnte festgestellt werden, inwiefern die Kinder schon Empathie empfinden und sich in eine andere Perspektive hineinversetzen können. Hierzu stellten wir beispielsweise ein Kuscheltier auf einen Tisch und schossen vier Fotos aus jeweils unterschiedlichen Winkeln. Anschließend sollten die Fotos jeweils wieder der richtigen Perspektive zugeordnet werden. Die Erstklässler dürften laut Piaget die Aufgabe nicht lösen können, da sie in diesem Alter den Höhepunkt des Egozentrismus erreichen. Drittklässler haben diesen schon meist überwunden.

Als wir uns nun am 28.11. morgens vor der Grundschule trafen, hatten wir etwas Zeit, um alles aufzubauen. Danach kamen zuerst die Erst- und dann die Drittklässler jeweils in Pärchen zu uns. Jede Gruppe hatte sich in einer anderen Ecke des Raumes ausgebreitet, sodass die Kinder die verschiedenen Stationen besuchen konnten. Es war wirklich interessant und teilweise auch erstaunlich, wie die Kinder mit den Spielen umgingen. Sie gaben Antworten wie „Blätter wedeln Luft zu“ oder „Ihr habt die Bäume gebaut, weil ihr schlau seid“ auf die Frage, wofür Bäume da wären. Voller Elan wurde mitgespielt und mit uns gelacht. Ganz stolz waren sie, als es darum ging, wie alt sie waren. Interessant war es, dass in jeder Gruppe auch wirklich unterschiedliche Ergebnisse erzielt wurden: Einmal gab es deutliche Unterschiede zwischen den Altersklassen, ein anderes Mal gar keine oder aber die Erstklässler waren beispielsweise besser als die Drittklässler. Gelegentlich sagten sie auch mal zu uns „Ne, ihr macht das Spiel falsch, ihr habt Unrecht“.

Letztendlich lassen sich die Ergebnisse unserer Spiele nicht verallgemeinern. Gelegentlich gab es Übereinstimmungen mit Jean Piagets Theorie der kognitiven Denkentwicklung, aber mindestens genauso oft auch Abweichungen. Es machte wirklich Spaß, mit den Grundschulkindern zu interagieren. Besonders spannend war es, dies einmal in der Praxis mitzuerleben. Schließlich lässt sich alles leicht lesen und lernen, aber das Miterleben war noch viel beeindruckender.

An dieser Stelle möchten wir uns ganz herzlich bei der Schönwasserschule und insbesondere bei Frau Gref und ihrer Klasse bedanken, die uns diese Erfahrungen ermöglicht und bei der Organisation unterstützt haben!

 

Fabienne Tressin (Q1)