Neben der oft gestellten Frage, welche Qualifikationen und Kompetenzen auf ein verant-wortungsbewusstes Leben in einer offenen und dynamischen Gesellschaft am besten vor-bereiten, wird als Erwartung an schulischen Unterricht gegenwärtig deutlich die Forderung artikuliert, erzieherische Aufgaben stärker als bisher wahrzunehmen wie auch zu einer deutlich konturierten Werteerziehung beizutragen.

Diesen Anforderungen stellt sich das Fach Religion, das als ordentliches Pflichtfach zum Fächerkanon der Schule gehört, in besonderer Weise. In dem Artikel "Christliche Tradi-tion statt geistiger Normierung" fasste A. Schavan (Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft und ehemalige Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katho-liken) das zusammen, was als Zielvorstellung für einen Religionsunterricht in der Schule vertreten werden sollte:

"Der Religionsunterricht thematisiert Religion als gesellschaftskritische Kraft, die nicht Privatsache bleibt, sondern zu gesellschaftlicher und kultureller Verständigung beiträgt. Er leistet damit einen diakonischen Dienst an Kindern und Jugendlichen, der auch Lebens-hilfe bedeutet, Unterstützung bei der Suche nach Orientierung, Hilfe zu eigener Entschei-dung." Die Beschäftigung mit Religion "schützt vor falschen Absolutheitsansprüchen und einer Instrumentalisierung des Menschen. Sie zeigt auch, dass junge Menschen eine Sehnsucht in sich tragen, die nicht in der Vordergründigkeit des Alltags gestillt werden kann."

Ein so verstandener Religionsunterricht ist auch gekennzeichnet durch Offenheit. Der RU wendet sich daher mit seinem Angebot ebenso an getaufte Christen wie auch Indifferente, Konfessionslose, Skeptiker und Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften.

 

Zielsetzung für den schulischen Religionsunterricht:

  • Kenntnisvermittlung über die jüdisch-christliche Tradition
  • Aufdeckung existentieller Grundfragen
  • Anfragen an die eigene Sozialisation und bestehende Normen
  • Beschäftigung mit der religiösen Dimension des Lebens

Er leistet Kenntnisvermittlung über die jüdisch-christliche Tradition in konfessioneller Differenzierung und ihren Beitrag zur Entstehung der modernen Gesellschaft, und zwar nicht mit der falschen Vorstellung der "Gleich-Gültigkeit" unterschiedlicher Positionen aus einer Außenperspektive, sondern über die authentische Begegnung "durch die Standpunkte hindurch", und erzieht dadurch zur Toleranz ohne Identitätsverluste.

Er trägt zur Aufdeckung der existentiellen Grundfragen bei, "die sich nicht mehr in der traditionellen Sprache zu Wort melden" (G. Böhm), wobei er die Ängste und Nöte, die Wünsche und Hoffnungen junger Menschen im Zusammenhang mit den Angeboten des christlichen Glaubens und der gegenwärtig gelebten Lebenspraxis mit ihren Orientierungsangeboten aufnimmt und verarbeitet.

Er hilft die Prinzipien und Weisen der eigenen Sozialisation zu hinterfragen: Wer bin ich, wer will ich sein? und macht dabei z.B. das Maß an Fremdbestimmtheit erfahrbar, bricht die selbstverständlich geltenden und nicht mehr hinterfragten sittlichen Nor-men (z.B. das Prinzip des größtmöglichen Lustgewinns) auf und konfrontiert mit dem Orientierungsangebot und Freiheitsversprechen des christlichen Glaubens: Freiwerden von der Welt für die Welt, Freiwerden von der Sorge um die Zukunft für den gegen-wärtigen Lebensmoment, Freiwerden vom Leistungszwang für das Leben, Freiwerden vom Ich für die Liebe zum Nächsten, und eröffnet damit Identifikationsmöglichkeiten.

Er hilft die religiöse Dimension erfahren, indem er die Frage nach Gott in der Weise offenhält, dass Heranwachsende in ihrem Leben auf ihn zu setzen wagen und Gott für sich in Anspruch nehmen in einer Welt, in der die Frage nach ihm zu verstummen droht und für ihn fortschreitend Ersatz gesucht und gefunden wird. Auch die kritische Prüfung des kaum mehr wahrgenommenen Gottes - Ersatzes gehört dazu.


(Zielformulierungen von Friedhelm Wippich, Religionspädagoge)