Krefeld. „Als rohstoffarmes Land braucht Deutschland wenigstens innovative Köpfe“, fordert Jutta Allmendinger nicht nur mehr Investitionen in die Bildung, sondern ein völliges Umdenken in der Bildungspolitik mit neuen Strukturen. Sozialpolitik sei ein teurer Reparaturbetrieb, der vergeblich versuche, Menschen wieder „aus dem Dreck herauszuziehen“.
Als Referentin beim 55. Moltke-Forum des Gymnasiums am Moltkeplatz hat die Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Berliner Humboldt-Universität sich vor über 100 Gästen dafür ausgesprochen, die Erkenntnisse aus der Pisa-Studie endlich umzusetzen.
In Deutschland werde am falschen Ende investiert. Zum Beispiel werde in keinem anderen Land so wenig Geld für die lernfreudigen Vorschulkinder und Grundschüler ausgegeben, klagt die Wissenschaftlerin, die auch Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung ist. Es sei viel effizienter, im frühen Alter in die Bildung zu investieren, anstatt später mühsam Versäumtes nachzuholen.
Ein großes Problem sei die Bildungsarmut, die immer mehr zunehme, weil die Einkommen von Arm und Reich immer weiter auseinander driften. Die Folge unseres Sozial- und Bildungssystems sei ein Heer von „funktionalen Analphabeten“, das 25 Prozent der Jungen und nur 11 Prozent der Mädchen betreffe. Die Unterschiede lägen darin, dass Mädchen sich selbst besser organisieren. etwa bei den Hausaufgaben. Mütter, die früher Defizite speziell bei den Jungen ausgeglichen hätten, seien heute meist berufstätig, weshalb viele Kinder zwischen Mittag und Nachmittag keinen Ansprechpartner mehr hätten.
Aus diesem Grund sei auch das ehemals perfekte dreigliedrige Halbtagsschulsystem überholt. „Es wird höchste Zeit, dass sich Lehrer, Eltern und Politiker davon verabschieden. Kinder brauchen nachmittags Betreuung, wenn Eltern nicht zur Verfügung stehen – wie in anderen Ländern auch“, fordert Allmendinger. Wichtig sei heute die Vermittlung sozialer Kompetenzen, außerdem eine breite Wissensbasis und keine Schmalspurausbildung. Schon, weil eine Ausbildung bis zum Rentenalter heute nicht mehr ausreiche. Kinder sollten sich erst viel später spezialisieren und länger im sozialen Verbund zusammenbleiben.