Prof. Tholen: Die Hartnäckigkeit des Patriarchats

Eingangs seines Vortrags machte Tholen deutlich, dass es in den letzten Jahrzehnten in den westlichen Gesellschaften sehr wohl einen erkennbaren Wandel hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit/-egalität gegeben habe. Er wolle aber im Folgenden aufzeigen, dass es parallel dazu – verstärkt in den letzten Jahren – zu einer Re-Maskulinisierung gekommen sei, wie er es ansatzweise in seinem ZEIT-Artikel vom 22.7.2022 (<Der Fascho-Patriarch>) in Bezug auf die Figur Wladimir Putins bereits angedeutet habe. 

       Mit Verweis auf die österreichisch-amerikanische Historikerin Gerda Lerner (1920 – 2013) und ihre bahnbrechende Studie <The Creation of Patriarchy> (1986) resümierte Tholen, dass sich sehr gut an die Aufdeckung der historischen Tiefenschichten des Patriarchats durch Lerner anknüpfen lasse.

       Carolin Wiedemann habe in ihrer Schrift <Zart und frei. Vom Sturz des Patriarchats> (2021) denn auch aufgezeigt, dass dem Patriarchat eine offenbar nicht beizukommende Beharrlichkeit zu eigen sei.

       Zwar müsse eingeräumt werden, dass es in den letzten Jahren, so Tholen weiter, zu einer „Krise der Männlichkeit“ gekommen sei, aber an die Stelle einer tatsächlichen Abwendung von der Vorherrschaft trete mehr denn je eine „Re-Souveränisierung“ von Männlichkeit.

       Auf ein zentrales historisches Beispiel eingehend, macht Tholen an der Figur Hitlers klar, dass es bei ihm – stellvertretend – um den Männertypus gehe, der aus der Erfahrung eines „Nichts“, dem „Nichts-Sein“, ein „Alles“ werden wolle, um das <Ich> im <Wir> - was der totalen Mobilmachung entspreche – aufgehen zu lassen. Diese Blaupause eines empathielosen, vereinsamten „Fascho-Patriarchen“ treffe auch auf den russischen Gegenwartsdiktator Putin zu. Seine Herrschaft beruhe auf einem „Vereinheitlichungsprozess“, einer „ubiquitären Gewalt“ sowie der „strukturellen Lüge“. Eine andere „maskulinistische Ikone“ sei Donald Trump. Was die „Re-Souveränisierung“ anbelange, meinten zu viele Männer auch heute immer noch, dass sie nur dann „wahre“ Männer seien, wenn sie sich der „fatalen Dialektik von Opfer und Triumph“ auslieferten. 

        Was nun eine wünschenswerte alternative „De-Souveränisierung“ anbetreffe, so Tholen wegweisend, müssten die Männer die Bereitschaft zeigen, sich mit der eigenen Genese der geschlechtlichen Situation auseinanderzusetzen, bereit sein, sich der feministischen Kritik an hegemonialen Männlichkeitsvorstellungen und sich dem Gespräch mit sich selbst (i.e. „Selbstreflexion“), aber auch mit anderen zu stellen. Mann (sic!) müsse sich öffnen und das Zuhören lernen!

       Als wünschenswerte Vision schwebe ihm, Tholen, vor, dass wir eine „liebende, feministische Männlichkeit“ in den Köpfen und Herzen tragen müssten, um eines Tages die patriarchalischen Strukturen zu überwinden. 

       Tholen schloss seinen Vortrag mit der bezeichnenden Vokabel „rEvolution“: Damit sei eine geduldige und lustvolle Umgestaltung von Männlichkeit gemeint, der Prozess eines Anderswerdens durch Bildung, Kunst, Politik(!) etc. und zugleich der Prozess einer Umstrukturierung des Begehrens. 

          In der anschließenden Diskussion machte Tholen deutlich, dass es um eine sehr früh einsetzende Auseinandersetzung mit Geschlechtervorstellungen (in Schule und Familie) gehen müsse.

       Die Konkurrenz- und Wettbewerbslogik in den unterschiedlichen professionellen Feldern müsse hinterfragt werden. Ferner wies er mit Bourdieu darauf hin, dass alles, was wir gesellschaftlich betrieben, auch einen geschlechtlichen Hintergrund habe. Wenig Hoffnung machte Tholen den Gästen aber im Hinblick auf eine baldige Revision des eingangs benannten langen Prozesses der Herausbildung des Patriarchats, dazu sei gerade in den fortgeschrittenen Gesellschaften „mehr power“ nötig! Die französische Nobelpreisträgerin für Literatur 2022,  Annie Ernaux, habe bereits die schlichte These vertreten: Ohne das Mittun der Männer sei eine De-Patriarchalisierung nicht machbar. 

       Lang anhaltender Beifall des äußerst aufmerksamen und beeindruckten Publikums für einen sehr breit gefächerten Beitrag, eine wissenschaftliche Vorlesung im besten Stil. 

 

Wolfgang van Randenborgh 

 

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