Vom Moltke in den Bundestag

Bernd Scheelen im Ehemaligeninterview - Vom Moltke in den Bundestag

Bernd Scheelen, einst Bundestagsabgeordneter und langjähriger Bürgermeister von Krefeld, begann seine Reise ins politische Rampenlicht in einem Klassenzimmer des Gymnasiums am Moltkeplatz. In einem persönlichen Gespräch im Sommer 2025 blickt er auf seine Schulzeit zurück, spricht über prägende politische Entscheidungen und erklärt, warum er trotz seiner Zeit in Berlin mit der Schule in Krefeld verbunden blieb.

Matthias Trinh (Interviewer): Herr Scheelen, herzlich willkommen am Moltke! Sie haben hier 1967 Ihr Abitur gemacht, das ist durchaus eine Weile her, erkennt man die Schule nach der Zeit eigentlich wieder?

Bernd Scheelen: Den Querbau (Neubau) dort drüben hat es zu meiner Zeit nicht gegeben, da war das noch alles Schulhof. Und da wir damals schon Platzmangel hatten, standen dort Container, stickige Räume, in denen man dann auch häufiger Unterricht hatte. Aber ansonsten hat sich der Kubus ja nicht verändert.

Im Interview beschreibt Scheelen ausführlich, dass es dabei deutlich rauer zuging als heute – Disziplin wurde großgeschrieben, und Lehrer hatten damals noch andere Möglichkeiten, diese durchzusetzen. Auch die körperliche Züchtigung, die damals vielerorts erlaubt war, gehörte an der Schule zum Alltag. Auf die Frage, was das Beste an der Schulzeit war, antwortete er, dies sei der Zusammenhalt in der Klasse gewesen. „Wir waren eine tolle Truppe“, so Scheelen über seinen Freundeskreis, der sich noch immer alle fünf Jahre trifft, obwohl er zu den wenigen gehöre, die in Krefeld geblieben sind.

Matthias Trinh: Sie haben während Ihrer Schulzeit auch an der Schülerzeitung KONKRET mitgewirkt: Wie war die aufgebaut, wurde sie von Schülern selbst geschrieben und auch geleitet?

Bernd Scheelen: Die wurde natürlich vollständig von den Schülern geschrieben und veröffentlicht. Wir hatten keinen Lehrer, der uns da reingeredet hat, das war unser eigenes Projekt. Wir haben über alles geschrieben, was uns damals bewegt hat, was eben aktuell war.

Matthias Trinh: Das klingt nach einer bemerkenswerten Freiheit für Schüler. Erinnern Sie sich noch an einen besonderen Artikel oder Moment?

Bernd Scheelen: Sehr gut sogar. Damals wurde Benno Ohnesorg, der Studentenrevoluzzer, bei einer Demonstration in Berlin erschossen. Das hat die Bundesrepublik tief erschüttert. Ich habe ein Gedicht darüber geschrieben, das wir in der Schülerzeitung veröffentlicht haben. Es war natürlich ein heikles Thema, gerade in einer konservativen Zeit. Aber wenn wir schon eine Schülerzeitung betrieben, sollte sie ein Ort sein, an dem wir unsere Meinungen frei äußern konnten. Das war unser kleiner Beitrag zur politischen Diskussion.

Matthias Trinh: War das dann schon der Beginn Ihres politischen Engagements?

Bernd Scheelen: Politisch war ich immer, nur eben nicht parteipolitisch. Die Jugend war damals sehr politisiert. Wir hatten einige Lehrer an der Schule, die selbst Parteimitglieder waren. Und die Diskussionen, die wir in der Klasse teilweise geführt hatten, waren auch sehr spannend. Ich hatte aber vorher nie überlegt, in eine Partei einzutreten. Das kam erst durch Willy Brandt und die Wahl 1972. 

Matthias Trinh: Wegen Willy Brandt? Das ist für viele heute ja mehr Geschichte.

Bernd Scheelen: Ja, heute ist das Teil von Geschichtsbüchern, ich war live dabei (schmunzelt).

Scheelens politisches Erwachen fand in der Ära Brandt rund um die Ostverträge statt und bewog ihn und seine Frau zum Eintritt in die SPD. Er wurde schnell in der Kommunalpolitik in Krefeld aktiv, beginnend mit der Pressearbeit. Parallel zu seiner beruflichen Laufbahn, die ihn von der Bundeswehr über ein Lehramtsstudium bis zu einer Tätigkeit als Pharmareferent führte, stieg er in den lokalen politischen Reihen auf. Erst am frühen Morgen nach der Bundestagswahl 1994 erfuhr er, dass er als letzter Kandidat über die Landesliste den Einzug in den Deutschen Bundestag geschafft hatte. Im selben Jahr wurde er überraschend Bürgermeister in Krefeld und nahm die Doppelbelastung als Abgeordneter in Bonn und als lokaler Repräsentant an. Diese Doppelrolle habe ihm große Bürgernähe ermöglicht und 1998 sogar zum Gewinn des Direktmandats verholfen – in einer alten CDU-Hochburg.

Matthias Trinh: Bei der Bundestagswahl 2013 haben Sie sich dann jedoch entschieden, nicht mehr anzutreten. Was hat Sie damals zu diesem Schritt bewogen?

Bernd Scheelen: Nach 20 Jahren beziehungsweise 5 Perioden dachte ich, jetzt sei die Zeit, mich zurückzuziehen und Platz zu machen für die junge Generation – ich war da ja auch schon knapp 66 Jahre alt.

Matthias Trinh: Andere streben in diesem Alter die Kanzlerkandidatur an, das heißt, für diese Menschen fängt die Karriere doch gerade erst an!

1994 starteten tatsächlich mehrere heute prominente Politiker ihre parlamentarische Laufbahn. Auch Friedrich Merz zog in diesem Jahr erstmals in den Bundestag ein – seine Karriere als Fraktionsvorsitzender wurde jedoch 2002 durch Angela Merkel abrupt unterbrochen. Zur selben Zeit begann auch Armin Laschet seine Arbeit im Bundestag. Ebenso wie Scheelen und Merz war Laschet Mitglied im Finanzausschuss.

Matthias Trinh: Inwiefern hat Ihre Zeit am Moltke Sie auf Ihre spätere Laufbahn vorbereitet? Gab es schon etwas wie die SV, die sich heute ja „politisch“ für die Belange von Schülerinnen und Schülern einsetzt?

Bernd Scheelen: Ich bin mir nicht sicher, ob es sowas damals bereits gegeben hat – vielleicht wäre das auch viel zu demokratisch für die damalige Zeit gewesen (lacht). Wir hatten ja noch ältere Lehrer an der Schule, die den Zweiten Weltkrieg und die Zeit davor miterlebt hatten.

Matthias Trinh: Wie blicken Sie denn heute auf die Politik, speziell die Jugend? Es wird davon gesprochen, dass sich Jugendliche häufiger Populisten oder Extremisten zuwenden.

Bernd Scheelen: Extreme Parteien gab es schon immer – früher hießen sie NPD oder Republikaner. Aber sie spielten keine große Rolle, weil die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Schrecken des NS-Regimes noch präsent war. Heute, mit der zeitlichen Entfernung, scheint vielen Jugendlichen das nicht mehr wichtig zu sein. Doch genau das dürfen wir niemals ausblenden. Wir haben gesehen, wozu Menschen fähig sind – und daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich habe aber die Hoffnung, dass das nur ein vorübergehendes Phänomen ist. Die Grünen haben auch gedacht, die Jugend würde sie immer wählen.

Matthias Trinh: So ändern sich die Trends, oder?

Bernd Scheelen: Ja, aber die Trends kann man immer auch beeinflussen, wenn man will, auch wenn man es nicht glaubt. Viele kapitulieren immer und sagen: „So ist der Trend“. Wenn ich einen Trend erkenne, arbeite ich dagegen. 

Matthias Trinh: Zum Abschluss die Frage: Wie sehr sind Sie nach all den Jahren noch emotional verbunden mit Ihrer Schule?

Bernd Scheelen: Emotional immer. Es war schließlich meine Schule. Und auch wenn ich dort sowohl Positives als auch Negatives erlebt habe, prägt die Schulzeit einen fürs Leben. Die Freundschaften, die man schließt, halten oft ein Leben lang. Man wächst miteinander auf, erlebt so viel gemeinsam – das verbindet.

Matthias Trinh: Und besuchen Sie Ihre alte Schule häufiger?

Bernd Scheelen: Immer, wenn ich eingeladen wurde, bin ich auch gerne gekommen.

Matthias Trinh: Herr Scheelen, ich danke Ihnen für das Interview.

Bernd Scheelen saß zwei Jahrzehnte lang im Deutschen Bundestag und ist Träger des Bundesverdienstkreuzes. Auch nach seinem freiwilligen Rückzug aus der aktiven Politik engagiert er sich weiterhin bürgerschaftlich, unter anderem als Gründer und Leiter von Vereinen wie dem Verein für den Stadtpark in Krefeld-Fischeln und dem Krefelder Kulturrat. Ein Teil seiner Familie geht heute ebenfalls aufs Moltke, dadurch bleibt Scheelen mit der Schule verbunden. Auch den Kontakt zu einigen Klassenkameraden hat er bis heute halten können. Im Dezember 2024 verlieh ihm die SPD zu Ehren seiner Verdienste die Willy-Brandt-Medaille – die höchste Auszeichnung der Partei.

Matthias Trinh (Abiturjahrgang 2025, Moltke-Redaktion)

Bernd Scheelen im Interview mit Matthias Trinh